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Citroën SM

 

Normalerweise ist es doch so: Man mag klassische italienische Autos oder man schwärmt für französische. Sportliche Ingenieurskunst, idealerweise in Verbindung mit Leichtbauweise, oder elegante Extravaganz mit technischen Spielereien. Eine Verbindung dieser beiden Pole wäre eine gewagte. Da müsste man was riskieren. So wie Citroën und Maserati das zu Beginn der 1970er-Jahre taten: Sie erschufen den Citroën SM, eine französische Karosse mit einem Motor von Maserati. Der Name steht wohl für Citroën Série Maserati oder Citroën Sport Maserati, die genaue Herkunft liegt im Dunkeln.

Etwas zu riskieren ist auch das Motto von Philipp: Er ist Architekt und strebt bei seinen Projekten nach dem Besonderen, er möchte etwas riskieren, etwas Neues erschaffen, sich nicht auf den Standard berufen. Zusammen mit seinem Partner Renato suchte er im vergangenen Sommer, quasi als Belohnung für ein arbeitsintensives Jahr, einen Nachfolger für den in die Jahre gekommenen Geschäftswagen, einen Saab 900. In jener Zeit standen die beiden einmal in einem Stau auf einer Schweizer Autobahn und beobachteten neben sich den Fahrer eines weissen Citroën SM, der mit nervösen Blicken auf seinen Temperaturmesser eine zügige Weiterfahrt herbeisehnte. Da erinnerte sich Philipp an den SM seines Grossvaters, der immer Citroëns gefahren war, und schon war die Idee für den „neuen“ Geschäftswagen geboren. Zum Schrecken aller Freunde und Bekannten, denen die Idee mit Begeisterung angetragen wurde. Die normale Reaktion war: „Sicher nid!“. Denn selbst unbedarften Menschen ist der SM als verflixt störungsanfälliges Vehikel in Erinnerung. Diesen Ruf hatte er sich in kürzester Zeit nach seinem Erscheinen eingehandelt – nicht nur wegen des unter grossem Zeitdruck entstandenen und deshalb zu wenig getesteten, wartungsintensiven und komplex konstruierten  Motors, sondern auch, weil das Citroën-Werkstattnetz nicht auf die Anforderungen des Fremdmotors eingestellt war. Also „sicher nid“? Nein, und gerade zum Trotz: Doch! Riskieren! Spätestens als Philipp den wunderschönen, blauen SM von 1973 in hervorragendem Zustand bei einer spezialisierten Werkstatt entdeckt hatte und sich mit dem Geruch des Interieurs im SM seines Grossvaters wähnte, war es vollständig um ihn geschehen.

Ein SM ist etwas vom Elegantesten, was einem über den Weg fahren kann. Langgestreckt und tief auf die Strasse geduckt verströmt die Karosse so viel Sportlichkeit wie Eleganz. Die Sitze sind trotz sportlicher Anmutung eher Citroën-typisch den Eigenschaften eines Sofas nachempfunden und auch die Instrumente erinnern an eine sportliche Version der DS. Erst wenn der Motor startet, hören die Ähnlichkeiten zu anderen Citroëns definitiv auf. Ein rauer Sechszylinder-Sound ertönt und erzeugt das seltsame Gefühl, in einem Auto mit dissoziativer Identitätsstörung zu sitzen: Ein Sofajunkie und ein Rennfahrer in einem ist er. Das ist wohl auch einer der Gründe für seinen relativen Misserfolg. Sportlichen Fahrern war der SM zu komfortabel und den Fahrern, die Luxus suchten, war er zu sportlich. Und sportlich ist er in der Tat: Mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 220 Stundenkilometern war er lange Zeit der schnellste frontgetriebene Serienwagen der Welt – und das bei einem Verbrauch, der auch von heutigen rund 180 PS starken Sechszylindern nicht wirkungsvoll unterboten wird. So erhielt er den Spitznamen „Fliegendes Sofa“.

Getrieben von Maseratis V6 fliegen Philipp und ich zügig über Landstrassen. Die hydropneumatische Federung trägt uns wie auf Wolken und nur das sehr direkte Übersetzungsverhältnis der geschwindigkeitsabhängigen Servolenkung macht mir anfangs etwas Mühe: Die kleinste Bewegung am Lenkrad wird von den Vorderrädern übernommen. Einmal daran gewöhnt, verringert sich aber die Tendenz, auch auf gerader Strasse Schlangenlinien zu fahren, auf ein erträgliches Mass. Neben der Silhouette ist es diese technische Raffinesse, die Philipp bewundert. Und in der Tat gilt der Citroën SM als Gesamtkonzept auch bei seinen grössten Kritikern als geniales Konstrukt. Dass ein Autobauer den Mut aufbrachte, so viel Innovationsgeist auf die Strasse zu bringen, verdient besonders heute Anerkennung, in einer Zeit, in der möglichst nur Details nachgeahmt werden und Autos auf keinen Fall zu sehr aus der Masse stechen dürfen. Und doch ist der SM für den Betrachter eher unauffällig. Man mag ahnen, dass er etwas Besonderes ist, aber er ist kein Show-off-Wagen. Welch gelungene Verbindung!

Nach einem guten halben Jahr SM-Fahren beteuert Philipp, dass der Wagen sogar ein durchaus kalkulierbares Risiko sei. Man wisse heute exakt um die Schwachstellen von Mechanik und Karosserie und wenn man ihn richtig warte, dann passiere so gut wie nichts. Verhältnismässig. Zusammen mit den einigermassen erschwinglichen Preisen von je nach Zustand zwischen 25‘000 und 40‘000 Franken – notabene für eines (von insgesamt nur 12‘920) der individuellsten je in Serie hergestellten Autos – tönt das schon fast vernünftig.

Philipp und Renato möchten den Wagen trotz ihrer Begeisterung nicht zum Auto für die täglichen kurzen Fahrten auf die Baustellen werden lassen, zu klischiert ist ihnen die Vorstellung der „coolen“ Architekten in ihrem unangepasst „anderen“ Schlitten. So haben sie die Angewohnheit entwickelt, vor dem Wochenende den SM-Schlüssel unauffällig auf die eigene Hälfte des Arbeitstisches zu ziehen und in einem geeigneten Augenblick das Büro unbemerkt und grusslos zu verlassen. Was zugegebenermassen von weitaus schlechterem Stil ist als der fahrbare Untersatz, der den Gewinner dieses Spielchens dann durchs Wochenende geleitet – aber irgendwie halt die gelungene Mischung aus Italianità und Savoir-vivre.

 

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